Omid Nouripour: „Das Iran-Abkommen ist noch nicht tot”

Omid Nouripour, Bundestagsfraktion Bündnis90/Die Grünen. Fotograf: Stefan Kaminski

Omid Nouripour ist außenpolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion und Obmann der Partei im Auswärtigen Ausschuss. Er wurde in Teheran geboren, 1988 kam er im Alter von 13 Jahren mit seinen Eltern nach Deutschland und wuchs in Frankfurt am Main auf. Seit 2006 sitzt er für die Grünen im Bundestag.

Herr Nouripour, ist das Iran-Abkommen noch zu retten?

Das Abkommen ist erst tot, wenn die Europäer es aufgeben. Und davon würde ich dringend abraten, dafür ist es zu wichtig. Es ist das beste Instrument gegen die Nuklearisierung des Nahen Ostens, das wir haben. Die massiven Menschenrechtsverletzungen im Iran und gerade die Tötung von 1.800 Menschen allein bei den November-Protesten haben doch gezeigt, dass das iranische Atomprogramm eine scharfe Kontrolle braucht. Ohne das Abkommen fällt genau diese Kontrolle weg. Die Europäer haben in den letzten anderthalb Jahren aber zu wenig geliefert, um es zu retten. Sie haben jetzt noch ein kleines Zeitfenster, um das nachzuholen. Ich hoffe, sie nutzen das.

Welche Folgen hätte ein Scheitern?

Die Iraner würden ihre Zentrifugen hochfahren, ohne dass wir durch Inspektionen noch irgendwelche Kontrollen hätten. Wir wüssten dann nicht genau, wie schnell sie eine Atombombe hätten. Dadurch würde die aggressive Regionalpolitik Irans noch weiteren Nachdruck erhalten. Und dieses Unwissen würde Saudi-Arabien unter Druck setzen, sich seinerseits so schnell wie möglich Atombomben zu beschaffen.

Also ein eigenes Atomprogramm aufzulegen?

Nicht unbedingt, womöglich lassen sie sich eine Bombe liefern – das geht schneller. Es ist beispielsweise bekannt, dass die Saudis die Entwicklung der pakistanischen Atombombe großteils finanziert haben. Wenn Iran und Saudi-Arabien aber auf offener Bühne nach der Bombe streben, kommt die Frage hinzu: Was macht der Mann im Palast mit den 1.000 Zimmern? Wie verhält sich Erdogan? Wenn die Türkei ebenfalls anfängt, eine Atombombe zu bauen, dann reden wir über eine völlig andere Sicherheitsarchitektur in Europa – und ganz andere Gespräche, die wir auch mit Griechenland und Bulgarien führen werden, weil das ihre Sicherheitsinteressen völlig verändert.

Als Donald Trump im Mai 2018 den Austritt der USA aus dem Iran-Abkommen verkündete, erklärten die Europäer sofort, sie wollten auch ohne die Amerikaner daran festhalten. Was ist eigentlich seitdem passiert?

Das große Versprechen des Abkommens für die Iraner war: Wenn ihr euch an die Auflagen und Kontrollen haltet, könnt ihr ganz normal Handel treiben. Nach Trumps Austritt haben die USA Iran dann wieder mit massiven Handelssanktionen überzogen. Die drei europäischen Signatarstaaten – Deutschland, Frankreich und Großbritannien – haben deshalb die Zweckgesellschaft Instex gegründet, die dazu da ist, Überweisungen aus dem Iran und in den Iran zu tätigen, jenseits der von den Amerikanern versperrten Wege. Es geht eigentlich darum, nicht über das SWIFT-System zu gehen. Man muss sich das so vorstellen: Die Amerikaner haben alle Straßen in den Iran versperrt, also hat man eine kleine Stolpergasse daneben errichtet.

Viele deutsche Firmen wollen aber, selbst wenn es diesen Mechanismus gibt, nicht mit dem Iran Handel treiben, weil sie Angst vor US-Sanktionen gegen ihr Unternehmen oder ihre Mitarbeiter haben.

Und das ist auch verständlich. Wenn ein deutsches Unternehmen zwischen dem kleinen Iran-Kuchen und dem großen USA-Kuchen wählen muss, wird es immer den großen nehmen. Bedauerlich ist aber, dass das Blocking Statute der EU, das europäische Unternehmen gegen die US-Sanktionen mit der ganzen Macht der EU schützen soll, nicht so aktiviert wurde, dass es tatsächlich wirkt. Da hat es an Mut gefehlt. In Paris sagt man mir, das deutsche Außenministerium würde da gern mehr tun, aber das deutsche Wirtschaftsministerium würde ständig auf der Bremse stehen.

Nachdem Iran in den vergangenen Monaten immer wieder gegen die Auflagen des Abkommens verstoßen hat und zuletzt nach der Tötung des iranischen Generals Qasem Soleimani durch die USA ankündigte, künftig ohne Einschränkungen wieder Uran anreichern zu wollen, haben die europäischen Vertragsstaaten den Streitbeilegungsmechanismus ausgelöst. Was heißt das jetzt?

Zunächst einmal, dass die Uhr tickt. Es sind nun 15 Tage vorgesehen, in denen ranghohe Beamte miteinander reden sollen. Wenn sie nicht weiterkommen, gibt es eine weitere 15-Tage-Frist, in der die Außenminister direkt verhandeln. Wenn beide Fristen verstrichen sind, kann man noch mal einvernehmlich verlängern – entweder die erste oder die zweite Frist, das geht theoretisch endlos, aber im Moment ist es nicht wahrscheinlich, dass das passiert. Deshalb ist es umso wichtiger, dass man diese zweimal 15 Tage nutzt, um zu einer Lösung zu kommen. Wenn nicht, könnte es sein, dass wir uns am 14. Februar ganz von dem Abkommen verabschieden.

Der britische Premierminister Boris Johnson hat schon angedeutet, dass er sich auch einen „Trump-Deal” vorstellen könnte, der das jetzige Abkommen ersetzen soll.

Die Amerikaner behaupten immer, sie wollen ein anderes Abkommen mit dem Iran, deshalb müsse man das bestehende erstmal abschaffen. Das ist ungefähr so überzeugend, wie sich mit Kim Jong-Un in Singapur zu treffen, um die Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel zu erreichen. Das Treffen zwischen Trump und Kim war im Juni 2018 – seitdem ist man da keinen Schritt weitergekommen. Die Gefahr bei den Iran-Verhandlungen jetzt ist, dass den Briten nach dem Brexit ein Freihandelsabkommen mit den USA viel wichtiger sein wird als die Rettung des Iran-Abkommens. Die Bundesregierung muss unbedingt darauf drängen, dass das nicht gegeneinander ausgespielt wird. Die Verhandlungen können auch nur im Einvernehmen aller Vertragsstaaten immer wieder verlängert werden.

Was passiert, wenn die Briten das verhindern?

Dann wird die Streitfrage an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen überwiesen – aber da wird es ja nicht einfacher, da reden auch die USA wieder mit. Und der Sicherheitsrat kann den sogenannten Snapback-Mechanismus auslösen, der das gesamte Spektrum der völkerrechtlich verbindlichen Sanktionen, die es vor der Unterzeichnung des Abkommens gegeben hat, wieder in Kraft setzt. Dann haben die Iraner überhaupt keinen Anreiz mehr, sich an irgendwelche Absprachen zu halten.

Die „Washington Post” hatte berichtet, dass die USA den Europäern mit Autozöllen von 25 Prozent gedroht hätten, wenn sie nicht den Streitbeilegungsmechanismus auslösten. Das Auswärtige Amt hat dementiert, dass es da einen Zusammenhang gebe. Die Entscheidung sei bereits vor der Drohung gefallen. 

Aber der Eindruck, die Bundesregierung ließe sich erpressen, manifestiert sich schon.

Vorstellbar ist auch, dass man im Weißen Haus ein Interesse daran hat, es so aussehen zu lassen, als sei das ein Erfolg amerikanischer Bully-Politik, obwohl die Entscheidung tatsächlich vorher getroffen wurde.

Klar, das ist vorstellbar. Aber es gibt im Kanzleramt auch Leute, die ein Interesse haben, dass es genau andersherum aussieht. Deshalb kommen wir da einfach nicht weiter. Übrig bleibt die Mutlosigkeit. Denn auch ohne die Drohung waren die Europäer ja nicht hyperaktiv dabei, das Atomabkommen zu retten.

Ist die europäische Politik nun erpressbar?

Das hängt ganz von uns selbst ab. Das Problem ist doch: Wenn man amerikanische Politik an diesem Punkt eindämmen will, weil die Amerikaner hier eindeutig gegen unsere Interessen arbeiten, muss man dazu bereit sein, Dinge zu tun, die den Amerikanern nicht gefallen. Und eben das Zeitfenster nutzen, um Instex so zu aktivieren, dass man auch liefern kann. Es gibt zahlreiche Absichtserklärungen, dass man nicht nur den humanitären Handel, sondern dem Iran auch den Verkauf von Öl ermöglichen will, bisher funktioniert das nicht. Außerdem muss man es nicht nur wirklich aktivieren, man muss auch darüber reden. Wenn der deutsche Außenminister nicht darüber spricht, dass Instex seine erste Finanztransaktion bereits getätigt hat, kriegt es auch keiner mit. Da würde ich mir von der Bundesregierung generell mehr Mut wünschen.

Das Gespräch führte Jan Pfaff. Er ist Redakteur der taz am Wochenende und gegenwärtig Journalist in Residence am WZB, wo er sich mit der Krise des Multilateralismus und dem Iran-Konflikt beschäftigt.

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